Geschwisterrangfolge, Erstgeborenes, Sandwich-Kind, Nesthäkchen, Charakter, Charaktereigenschaften

1., 2., 3. Kind: Geschwisterrangfolge

14. März 2018

Erstgeborenes, Zweitgeborenes, Sandwich-Kind und Nesthäkchen: die Geschwisterrangfolge bestimmt den Charakter mehr, als uns vielleicht lieb ist. Wie wir gewisse Verhaltensmuster von uns selbst oder den Kindern erkennen und Kinder gezielt in der Geschwisterposition zu stärken, erzählt uns heute Gudrun Henseler. Sie ist Familienberaterin des Evangelischen Familienzentrums in Radevormwald und kennt sich mit den Besonderheiten der Geschwisterrangfolge richtig gut   aus. Wir sind selbst ein wenig überrascht, wie sehr der Charakter durch die Geschwisterrangfolge geprägt werden kann!

„Je nachdem ob ein Kind als erstes, zweites oder drittes Kind auf die Welt kommt, neigt es auch zu bestimmten Charaktereigenschaften – und die wiederum haben Auswirkungen auf das gesamte Leben“, sagt die ehemalige Leiterin des Familienzentrums und bringt die verschiedenen Charakteristika bewusst plakativ auf den Punkt.

Geschwisterrangfolge: das Erstgeborene

„Zusammengefasst könnte man sagen, das erste Kind ist meist sehr perfektionistisch, das zweite drückt sich gerne vor bestimmten Aufgaben und das Nesthäkchen tanzt gerne aus der Reihe. Aber wir starten von vorne. Das erste Kind bekommt zuerst die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern und Bezugspersonen. Folgt ein Geschwisterkind leidet das erste Kind fast immer unter dem Schock der Entthronung. Dies führt bei den meisten Kindern zu besonderen Belastungen im Vertrauen. Sie begreifen, dass sich ihre Welt schlagartig verändert und reagieren mit Traurigkeit oder Bitterkeit. Nun gibt es ein anderes Kind, mit dem es die Aufmerksamkeit und Wertschätzung der Eltern teilen muss. Das ist eine Situation, die die anderen Kinder nie erleben werden. Und dies versuchen die Erstgeborenen häufig durch besondere Tüchtigkeit auszugleichen.

Die älteren Kinder sind den jüngeren meist überlegen und spielen diese Macht gerne aus. Aber sie übernehmen auch ganz viel Verantwortung: Das Kind hilft mit, wo es kann und will den Eltern gefallen. Es wächst in die Aufgabe der Verantwortung hinein. So übernehmen die älteren Geschwister die Rolle der Aufpasser oder des Kindermädchens. Zeitweise ist dies sehr schön für die Großen, aber wenn es zu einer Voraussetzung wird, kommt es oft zu Überforderung und damit zur Ablehnung des Geschwisterchens.

Meine Tipps:

  • Überhäufen sie ihr ältestes Kind nicht mit Aufgaben und Pflichten. Nehmen sie auch die jüngeren Geschwister in die Pflicht. Achten sie darauf, dass das älteste nicht immer auf die kleineren Kinder aufpassen muss. Lassen sie keinen Zorn und Hass entstehen. Fragen sie ihr Kind und respektieren sie auch ein Nein.
  • Sollten sie erkennen, dass das älteste Kind sehr perfektionistisch wird, nehmen sie dies zur Kenntnis aber fördern sie diese Eigenschaft nicht besonders oder heben sie hervor. Denn das kann schnell zu Perfektionismus führen, der das Leben für die Zukunft nicht leicht macht – und letztendlich zu Zwängen führen kann. Verstärken sie diese Eigenschaft nicht erzieherisch, sondern nehmen sie bloß zur Kenntnis.
  • Ältere Geschwister müssen auch Privilegien haben. Es können Kleinigkeiten sein, wie etwa das längere Wachbleiben, aber für das Kind sind sie sehr wichtig. Diese Privilegien sollten sie nicht immer neu aushandeln, sondern für das Kind gesetzt sein. Das ist dann ein Status, der dem Kind nicht genommen werden kann. Andere Privilegien können sein, dass das ältere Kind beim Tisch abräumen helfen oder die Kerzen ausmachen darf.
  • Verbringen sie mit dem einzelnen Kind auch Zeit alleine. Das Kind wird es ungeheuer genießen!
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Das Zweitgeborene

Für das zweite Kind ist es völlig normal, die Eltern zu teilen. Denn es hat nie etwas anderes kennengelernt. So hat es auch keine Angst, die Aufmerksamkeit der Eltern zu verlieren. Gleichsam sind sie aber auch dem älteren Kind unterlegen und stehen in direkter Konkurrenz. In den ersten Jahren entscheidet sich häufig ob eine Dauerkonkurrenz bestehen bleibt oder ob das Kind sich in eine ganz eigene Richtung entwickelt. Dies ist eine gute Möglichkeit, sich aus der Vergleichbarkeit zum anderen Kind heraus zu entwickeln. Einem gleichgeschlechtlichen Geschwisterkind fällt es oft schwer, die eigene Identität zu erkennen. Wenn der Abstand gering ist, entwickelt sich das Kind gerne zum Gegenteil. Bei größerem Abstand zueinander, wie etwa von vier oder fünf Jahren, verschwindet die Konkurrenz, und das Kind wird eigenständig in die Familie hineingeboren.

Das Sandwich-Kind

Mittelkinder, sogenannte Sandwich-Kinder, haben oft einen schwereren Stand. Sie haben nicht die Privilegien und Fähigkeiten des ersten und auch nicht die Niedlichkeit des kleinsten. Oft neigen sie zu provokantem Verhalten, sind fordernder oder aggressiver. Damit sagen sie: Schaut mal her, mich gibt es auch noch. Wenn sie trotzdem nicht gehört werden, werden sie oft verschlossener und wählen einen Kontakt außerhalb der Familie.

Meine Tipps:

  • Aufgaben und Rechte sollten in der Familie gerecht verteilt werden. Das ältere Kind sollte mehr übernehmen, darf dafür aber zum Beispiel länger aufbleiben.
  • Achten sie darauf, dass das jüngere Kind auch seine Aufgaben erfüllt. Häufig mogelt es sich vorbei.
  • Bleiben sie aufmerksam und vermeiden sie Vergleiche. Dies ist nicht einfach, ist aber ganz wichtig. Verglichen zu werden ist immer negativ.
  • Verbringen sie auch mit dem zweiten Kind Zeit alleine!
  • Behandeln sie die Kinder gleich, aber immer gemessen an den Bedürfnissen der Kinder. Schauen sie, welches Kind was in welcher Situation benötigt. Eine pauschale Gleichbehandlung geht oft an den individuellen Bedürfnissen der Kinder vorbei.
  • Sandwich-Kinder sollten besonders in den Blick genommen werden. Zeigen sie auch unabhängig von Leistungen, dass sie das Kind bedingungslos liebhaben. Einem Sandwich-Kind sollte man dies einmal mehr sagen.
  • Sollte sich ein Mittelkind sehr verschlossen geben, suchen sie unbedingt das Vieraugengespräch. Suchen sie den Dialog und geben sie dem Kind die entsprechende Zeit und auch den Raum. Machen sie deutlich, dass sie als Gesprächspartner immer da sind.
  • Ein Sandwich-Kind sollte auch exklusive Zeit genießen können, zum Beispiel ganz alleine die Oma oder die Patentante besuchen dürfen – oder etwas anderes, ganz besonderes. Dies muss dem Kind vielleicht einmal mehr zustehen.
  • Jüngere Kinder sollten auch eigene Anziehsachen erhalten und nicht nur die Kleidung der älteren tragen müssen. Es sollte einige Sachen geben, die sich das Kind ganz alleine aussuchen darf und nur diesem Kind gehören. Die Kleidung spielt dabei eine große Rolle – denn aus Kleidung entsteht auch die Identität.

Das Nesthäkchen

Das Nesthäkchen wird oft verwöhnt, bedient und von den Eltern besonders beachtet. Dies kann zu Eifersucht der älteren führen. Damit können sie dem jüngsten das Leben schwermachen – aus Rache, wegen unfairer Behandlung oder weil das jüngste ein Liebling der Eltern ist. Dies kann zu Streit führen. Bei größeren Geschwistern bekommt das kleinste oft Anerkennung, weil es alle zum Lachen bringt. Es entwickelt einen Hang zur Fröhlichkeit und wird zum Spaßmacher. Ist es das letzte Kind und hat es bereits ältere Geschwister, wird es auch von denen umsorgt und zum Prinzen/zur Prinzessin herangezogen. So wird das Kind häufig schwer erwachsen und verbleibt gerne in der Rolle des Babys, um sich um vieles nicht kümmern zu müssen.

Häufig werden daraus etwas verwöhnte aber auch charmante, witzige und angenehme Menschen. Sie haben natürlich auch den großen Vorteil, das gesamte Spektrum von Handlungsspielräumen bei den älteren Geschwistern erlebt zu haben. Sie kann so schnell nichts mehr aus der Ruhe bringen. Das Handwerkszeug für ein Miteinander und des gesunden Kampfes, also enorme soziale Kompetenzen bringen sie damit oft schon mit in die Gesellschaft.

Meine Tipps:

  • Auch beim kleinsten sollten sie dafür sorgen, dass es sich angemessen an den Aufgaben in der Familie beteiligt. Achten sie auch darauf, dass es die Familienregeln einhält. Denn oft werden sie nicht so streng beobachtet. Das liegt auch daran, dass viele Eltern beim letzten Kind sozusagen erziehungsmüde sind. Manche werden auch nur gelassener, für die Kinder ist dies eine große Chance: Die Verbissenheit geht verloren.
  • Fordern sie dennoch das Nesthäkchen, damit es nicht hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Jedes Kind braucht das Gefühl, wichtig zu sein.
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Geschwisterrangfolge: die Zwillinge

Zwillinge sind ein absoluter Sonderfall in Sachen Geschwisterrangfolge. Zwar rivalisieren sie oft miteinander, aber sie kommen gleichzeitig in die Familie und haben zwangsläufig eine noch engere Bindung zueinander. In den ersten beiden Lebensjahren stellt sich heraus, wer die Dominanz in der Rangfolge hat. Der eine ist der Anführer, der an eine Sache herangeht und gestaltet, der andere läuft gerne mit und lässt den anderen vorangehen. Wichtig ist, dass man auch den Zwillingen die Möglichkeit zur Individualisierung gibt.

Meine Tipps:

  • Überlegen sie ob sie den Kindern im Kindergarten auch einmal stundenweise die Chance geben in verschiedenen Gruppen ihre eigenen Möglichkeiten zu erkunden und sich zu verselbstständigen. Nur so können auch eigene Freundschaften und Erfahrungen entstehen.
  • Ziehen sie die Kinder nicht immer gleich an. Sonst können sie sich kaum in ihrer Einzigartigkeit unterscheiden.
  • Sprechen sie ihre Kinder nicht immer mit „ihr“, sondern einzeln an. Dies stärkt das Verständnis von Einzigartigkeit.
  • Schauen sie, ob die Kinder unterschiedliche Neigungen haben. Was mag das jeweilige Kind?

Abschließend lässt sich sagen, dass die Stellung der Geschwisterrangfolge natürlich nicht alleine prägend für den Charakter ist. Dafür gibt es noch viele andere Faktoren. Aber es ist wichtig, dass sich die Eltern die Besonderheiten der Rangfolge bewusstmachen. So können sie gezielter hinschauen und auf Konflikte bewusst reagieren. Außerdem kann unguten Entwicklungen vorgebeugt werden.“

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Autor

Eliza

Eliza ist eigentlich ein Großstadtmädchen und hat in Wien, Valencia, London, Berlin und Frankfurt gelebt, bevor es sie in das beschauliche Münsterland zog. Hier ist sie mit Mann, zwei Kindern und Hund voll und ganz angekommen und genießt jeden Tag die Vorzüge des Landlebens: frische Luft statt volle Straßen, Nachbarschaftsliebe statt Anonymität und vor allem die unendliche Weite vs. Skyscraper-Schluchten. Als Digital-Junkie liebt sie alles, was die Online-Welt betrifft. Social Media ist ihre absolute Leidenschaft, die sie bei Ernsting’s family nun auch zum Beruf gemacht hat. Online sowie offline heißen Eliza‘s Keywords #Familie #Freunde #Reisen #Fashion #Food.

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