Brustkrebsvorsorge: Blinde Frauen ertasten kleinste Veränderungen

15. März 2017

Das mehrfach ausgezeichnete Sozialunternehmen discovering hands® hat eine völlig neue Art der Brustkrebsfrüherkennung entwickelt, bei der blinde und stark sehbehinderte Frauen zu sogenannten Medizinischen Tastuntersucherinnen (MTU) ausgebildet werden. Brustkrebs ist nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen von Frauen – jedes Jahr erkranken in Deutschland knapp 60.000 Frauen an Brustkrebs. Eine frühzeitige Entdeckung der Krankheit verbessert die Überlebenschancen der Patientinnen erheblich.  Nach einer neunmonatigen Qualifizierung finden die MTU bei discovering hands® dank Ihres nachweislich überlegenen Tastsinns und weil sie sich für die Untersuchungen wesentlich mehr Zeit nehmen können bis zu 50 % kleinere und deutlich mehr Gewebeveränderungen als Ärzte. Derzeit unterstützen knapp 30 MTU an 28 Standorten in Deutschland Ärzte in Praxen und Kliniken. So schafft discovering hands® sowohl eine stark verbesserte Präventionsmaßnahme als auch ein ganz neues Berufsfeld für blinde und sehbehinderte Frauen. Hierauf möchten wir gerne möglichst viele Frauen aufmerksam machen. Zum einen auf die innovative Untersuchungsmethode, zum anderen auf den Beruf der MTU, der blinden und sehbehinderten Frauen eine einzigartige berufliche Chance bietet. Denn discovering hands® sucht laufend neue Medizinische Tastuntersucherinnen und bietet ihnen eine unbefristete Festanstellung mit einem wohnortnahen Einsatz sowie einer fairen Entlohnung. Um ein wenig mehr von dem Projekt zu erfahren hat unsere Auszubildende Kira mit der medizinischen Tastuntersucherin Anja Hirschel (s. Foto) gesprochen.

Kira: Hallo Frau Hirschel, wie sind Sie dazu gekommen, MTU zu werden?

Anja Hirschel: Das kam durch meinen Umzug nach Nordrhein-Westfalen. Ich wohnte vorher in Hessen, wo ich als gelernte Winzerin gearbeitet habe. Nach dem Umzug nach NRW konnte ich den Beruf nicht mehr ausüben, da es hier keine Weinberge gibt. Ich hatte versucht in einem Weinfachgeschäft zu arbeiten. Leider konnte ich die kleinen Zahlen auf den Etiketten und auf dem Kassenbon nicht lesen. Dann habe ich im Altersheim gearbeitet, aber ich hatte Probleme bei der Dokumentation, da der Computer und damit die Zahlen zu klein waren. Deshalb habe ich gekündigt. Schließlich habe ich dann bei Google, auf der Suche nach einem neuen Job, einfach „Jobs für sehbehinderte Frauen“ eingegeben. Das brachte mich auf die Seite von discovering hands® und ich bewarb mich. Ich wurde nach Nürnberg zu einem Eignungstest eingeladen und bestand ihn. Anschließend folgte die neun monatige Weiterbildung zur medizinischen Tastuntersucherin. 2015 habe ich die Qualifizierung abgeschlossen. Seitdem arbeite ich in dem Beruf.

Kira: Wie ausgeprägt ist denn Ihre Sehbehinderung?

Anja Hirschel: Ich bin nicht blind. Ich habe seit der Geburt noch 20% Restsehvermögen durch eine Hornhautverkrümmung mit einer starken Weitsichtigkeit. Zudem habe ich einen sogenannten Nystagmus im rechten Auge, also ein leichtes Zittern. Ich habe aber trainiert es zu fixieren und das gelingt mir ganz gut. Im Alltag sieht man mir meine Sehbehinderung kaum an.

Kira: Wie läuft so eine Untersuchung ab und wo liegen die Unterschiede zu einer Untersuchung durch einen Frauenarzt?

Anja Hirschel: Ein Frauenarzt untersucht seine Patientinnen in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit. Die reicht aber in der Regel leider nicht aus, um eine so intensive Untersuchung durchzuführen, wie es uns MTU möglich ist. Zu jeder meiner Untersuchungen gehört zunächst eine Anamnese zur Ermittlung des Hormonstatus. Ich führe eine Befragung durch, bei der ich mich unter anderem danach erkundige, wie groß die Patientin ist, wie schwer, ob sie Sport macht, ob sie raucht, wann sie ihre letzte Periode hatte und ob sie sich regelmäßig selbst abtastet und zu Untersuchungen geht. Diese Fragen geben mir Aufschluss über die Lebensumstände der Frau und darüber, wie gesund sie sich hält. Das Gespräch dauert acht bis zehn Minuten, je nachdem, ob die Patientin viel zu erzählen hat oder ob sie Vorbefunde oder bereits eine Untersuchung hatte. Nach diesem Gespräch taste ich zunächst die Lymphknoten beziehungsweise die Lymphabflussbahnen der Patientin ab. Anschließend klebe ich ihr sogenannte Dokumentationstreifen auf, sodass die Brust in vier Bereiche eingeteilt wird. Diese helfen mir beim weiteren Abtasten. Je nach Brustgröße brauche ich unterschiedlich lange. Für kleinere Körbchengrößen wie A oder B brauche ich ca. 40 Minuten. Bei steigender Körbchengröße brauche ich 10 bis 20 Minuten länger. Ich nehme mir aber für jede Brust so viel Zeit wie nötig ist.

Kira: Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit?

Anja Hirschel:Mir gefällt natürlich, dass ich diese besondere Fähigkeit besitze, selbst kleinste Gewebeveränderung ab 4 mm Größe zu erkennen. Ich mag es, jeden Tag mit neuen, ganz unterschiedlichen Frauen zu tun zu haben und ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie mir vertrauen können. Es ist schön, wenn ich der Patientin sagen kann: „Ich habe keinen Befund.“ Selbst wenn ich der Patientin diese gute Neuigkeit nicht geben kann, kann ich für sie da sein und sie zum Arzt geleiten, der dann einen Ultraschall durchführt, sodass klar wird, wie der Befund aussieht. Es ist schön, dass keine Frau ohne eine Gewissheit entlassen wird. Sie bekommt immer eine Antwort auf ihre Frage.

Kira: Haben Sie schon mal Rückmeldung von den Frauen bekommen oder hatten Sie ein besonders schönes Erlebnis?

Anja Hirschel: In letzter Zeit habe ich schon mehr als einmal eine Umarmung und ein „Danke“ bekommen. Viele sagen auch so etwas wie: „Schön, dass es Sie gibt.“, oder „Ich schicke meine Tochter oder meine Schwester auch zu Ihnen.“ Das sind für mich die schönsten Momente in meinem Beruf: Wenn ich weiß, ich konnte den Frauen helfen und sie es mir auch durch solche Gesten zurückgeben.

Kira: Hat der Berufe als MTU ihr Leben verändert?

Anja Hirschel: Ja, auf jeden Fall. Ich bin dem Leben gegenüber viel respektvoller geworden. Ich habe meine Lebensweise geändert. Ich lebe gesünder, esse gesünder und würde nie wieder mit dem Rauchen anfangen. Die Krebsprävention ist mir sehr wichtig geworden. Dieser Beruf hat mich dazu gebracht, nachdenklicher und vorsichtiger mit dem Leben umzugehen. Ich habe im Zuge einer Fortbildungsmaßnahme in einer Klinik die Folgen von Brustkrebs sehen können. Das macht demütig vor dem Leben.

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Autor

Gunnar

Gunnar ist ein Kind des Ruhrgebiets, wo die Menschen bekanntlich das Herz auf der Zunge tragen. Wenn er morgens seinen ersten Kaffee getrunken hat, wird er recht schnell gesprächig. Nach zwischenzeitlichen Ausflügen nach Göttingen, Berlin und Hamburg zog es ihn schließlich wieder in seine alte Heimat zurück. Nicht zuletzt weil er hier die Nähe zu seiner Familie, seinen Freunden und seinem Lieblingsfußballverein schätzt. Nach der Arbeit steht oft noch ein bisschen Sport auf dem Programm. Mit seiner Leidenschaft für Fußball und sportliche Aktivitäten jeder Art gleicht er seine Schwäche für leckeres Essen wieder aus. Ansonsten liebt er es, zu reisen und dabei alte Freundschaften zu pflegen, aber auch neue Menschen und Orte kennenzulernen.

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