Mama-Streit: Muten wir unseren Kindern zu viel zu?

7. November 2016

Katharina The Nachtsheim Session - Part One12.2.2014@ Niels Starnick

Als wir vor zwei Jahren innerhalb Berlins umzogen, musste meine Tochter die Kita wechseln. Das war natürlich mit Abschiedsschmerz verbunden und die ersten Wochen in der neuen Gruppe waren hart. Sie weinte oft morgens, wenn wir los wollten oder erzählte mir beim Abholen in epischer Bandbreite, dass niemand mit ihr gespielt habe und dass sie da nie wieder hin wolle. Mein Mutterherz schmerzte und ich haderte mit unserer gesamten Umzugsentscheidung. „Vielleicht nehme ich sie wieder aus der Kita und suche eine andere“, sagte ich zu meiner Freundin. Diese antwortete: „Gibt ihr doch noch ein bisschen Zeit und vertraue darauf, dass sie ihren Platz dort finden wird.“ Und genau das tat ich. Drei oder vier Wochen später hatte sich die Situation tatsächlich normalisiert, heute ist meine Tochter ein fröhliches Kitakind und hat jede Menge Spielkameraden.

Warum ich diese Geschichte erzähle? Weil sie exemplarisch dafür steht, wie wir Eltern uns gerne verhalten. Wir wollen alle nur das Beste für unsere Kinder und haben darüber verlernt, ihnen zuzutrauen, Schwierigkeiten zu überstehen. Wir tasten Kitas, Schulen, Freunde, Musikgruppen, beschäftigten uns stets damit, dass die Umgebung immer optimal ist und es unseren Kindern an nichts fehlt. Aber so ist das Leben nicht. Das besteht nämlich aus Hochs und Tiefs. Und kommt unser Kind mal ins Straucheln, stehen wir sofort bereit, damit es ja nicht fällt.
Dabei ist dieses Fallen wichtig. Weil man nur dann wieder Aufstehen kann. Es ist wichtig, dass Kinder auch mal Situationen durchstehen, die vielleicht nicht nur rosa-rot-glittermäßig ist. Sie müssen durch Konflikte, sie müssen auch mal Enttäuschungen erleben, sie müssen auch mal traurig sein. Das sind alles Emotionen, die sie reifen lassen und sie sie erleben müssen, um das Leben in seiner ganzen Bandbreite spüren zu können.
Ich finde, wie trauen unseren Kindern viel zu wenig zu. Natürlich müssen wir darauf achten, dass sie sich nicht in ernsthafte Gefahr begeben. Aber wir packen sie viel zu früh viel zu sehr in Watte. „Backen aufblasen und weiter“, sagte mein Opa immer, wenn ich während einer Fahrradtour nicht mehr konnte. Und genau das tat ich. Ich biss mich durch. Und war schließend unfassbar stolz, dass ich die Hürde geschafft hatte…

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Mein Sohn spielt. Er bekommt vom Drumherum nichts mit, er ist ganz versunken in seine frisch aufgebaute Polizeiwelt. Nichts kann ihn stören – außer der doofe Alltag. „Hey Großer, wir müssen jetzt zur Schule“, sage ich ihm, obwohl er mein jüngstes Kind ist. Er mag es, „Großer“ genannt zu werden, obwohl er noch so viel und so kindlich spielt. Was er allerdings nicht mag, das ist das Korsett des Alltags. Er kann keinen Stress leiden, keine Eile. Er möchte spielen, wenn er spielen will. Und nicht zur Schule. An diesem Morgen hat er Glück. Da reichte die Zeit noch, um kurz in die Rolle eines Polizeikommandeurs zu schlüpfen. Aber wenn er selbst entscheiden könnte, dann würde er jetzt den ganzen Tag hier bleiben, in seinem Zimmer, mit seinen Gebäuden und Figürchen.
Kinder brauchen Langsamkeit. Kinder brauchen Zeit. Und dafür gibt es heute in vielen Familien einfach viel zu wenig. Das ist nicht nur hausgemacht. Viel Druck kommt auch von außen. Oft reicht ein Einkommen nicht mehr für die ganze Familie, also müssen beide Elternteile arbeiten. Das heißt, die Kinder werden recht früh fremdbetreut, in einer anderen Umgebung, mit anderen Kindern, zu festen Terminen. Am Nachmittag warten dann die Hobbys, das Kind soll schließlich gefördert werden, wir dürfen nichts verpassen, so fühlen wirklich viele Eltern. Dabei braucht es das freie Spiel, braucht es die freie Zeit, braucht es das Abtauchen in Fantasiewelten, damit sich ein Kind gut entwickeln kann.
„Kinder entwickeln sich bestens, wenn sie ins Tagträumen und ins Spielen finden“, sagte Erziehungsberaterin Ingrid Löbner jüngst in einem Interview mit dem Magazin des Kölner Stadtanzeigers. Und: „Wir sollten Kinder nicht dazu bringen, unbedingt zu funktionieren, sondern wir Erwachsenen sollten das Tempo rausnehmen.“
Das leuchtet ein. Trotzdem ist das natürlich gar nicht so einfach in unserer heutigen hektischen Welt, in der niemand den Anschluss verpassen will. Soll ich doch noch den neuen Auftrag annehmen, weil ich sonst vielleicht nicht wieder gebucht werde? Soll ich nicht während das Kind schläft, noch schnell den Fußboden wischen? Soll ich nicht doch noch den Frühförderkurs für mein Kind buchen?
Nein.
Denn es stresst uns alle. Wenn wir am Ende auf unser fast hundertjähriges Leben schauen, was sind dann schon die paar Jahre, die wir vielleicht weniger gearbeitet haben und in denen wir – Mütter wie Väter! – uns und unseren Kindern Zeit geschenkt haben? Zeit, um unseren Nachkommen die Grundlagen für ein gutes und erfülltes Leben zu legen. Lasst uns uns und unsere Kinder nicht dauernd überfordern. Manchmal kann eine Polizeistation im Kinderzimmer nämlich viel besser fördern als jeder Frühförderungskurs, der nach festen Terminen und Ritualen geplant ist.
Lasst die Kinder spielen, solange sie spielen können!

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Katharina und Lisa

Als drittes von fünf Kindern war Katharina immer klar: Sie will selbst auch eine große Familie haben. Mhhhh - doch dann kam zuerst das Studium, eine Ausbildung und schwupps war sie Ende 20, als ihre Tochter geboren wurde. Heute ist sie, Katharina, 33. Im Januar kam Baby Nr. 2 , der Traum von der Großfamilie besteht immer noch. Und weil die ja nicht nur von Luft und Liebe leben kann, arbeite sie als Journalistin mit Themenschwerpunkt... genau: Familie. Lisa ist 32 und beschäftigt sich, seit sie Mutter dreier Kinder ist, natürlich oft und viel mit Familienthemen. Um nicht ihrem gesamten Freundeskreis mit Kinder-Anekdoten zu nerven, schreibt sie in vielen Ecken und Enden des Internets darüber, z.B. bei www.nusenblaten.de oder www.stadtlandmama.de. Mit Kindern, Mann, Großeltern und vielen Tieren lebt sie direkt am Waldrand. Ihre eigene Kindheit verbrachte sie vor allem auf dem Fußballplatz, auf dem ihr Bruder kickte, während sie mit dem Einrad drumherum kurvte... Gemeinsam schreiben Katharina und Lisa unsere Kolumne "Mama-Streit".

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