Mama-Streit: Wie viel Frühförderung braucht ein Kind?

16. September 2015

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Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, dann denke ich an die vielen Nachmittage im Reitstall, mal Dressur- mal Springunterricht. Ich denke auch an die schweißtreibenden Sessions bei der Choreographin im Tanzstudio, die so Spaß gemacht haben, dass ich heute noch Lust hätte, tanzen zu gehen – aber da war ja was. Ich habe ja drei Kinder. Und die haben mittlerweile auch alle Hobbys. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für eigene Freizeit. Eigentlich gar keine Zeit mehr. Und so freue ich mich, dass meine Tochter mittlerweile so gut reitet, dass wir auch mal zusammen eine Stunde nehmen oder ein Wochenende auf dem Ponyhof verbringen können. Warum auch meine Kinder so viele Hobbys haben? Weil wir das gut finden! Weil sie dabei fürs Leben lernen. Weil sie fit werden, im Körper und im Kopf. Mein Spruch: Lernen tut man nicht nur in der Schule, sondern vor allem davor und danach 😉
Der erste Kurs, den ich mit meiner Tochter besuchte, war ein Feldenkrais-Kurs. Wir begannen ihn, als sie sechs Wochen alt war. Wir sangen Lieder, bestaunten unsere Kinder und manchmal weinte sogar eine Mutter, weil sie so müde war oder das Kind wieder krank oder weil einfach alles grad zu viel war. Ich freute mich immer auf unseren Kurs. Unsere Tochter wurde angeregt durch die Übungen und ich konnte Kontakte knüpfen – zu anderen Müttern. Wir besuchten später auch einen PEKiP-Kurs (Prager Eltern-Kind-Programm), wo die Kinder nackt spielten und dadurch weniger bewegungs-eingeschränkt waren. Unsere Tochter liebte das Nacktspielen und ich lernte Inga kennen. Eine Mutterfreundin, wie sie eigentlich jede Mama braucht. Ingas und meine Tochter wurden beste Freundinnen, sie gingen später zur gleichen Kita und schreiben sich heute noch Briefe, seit wir aus der alten Heimat weggezogen sind. Mit Inga verbrachte ich seither fast jeden Nachmittag. Wie der Zufall es wollte, bekamen wir beide nach unserem Mädchen noch zwei Jungen. Auch mit diesen, meinen zwei Jungen besuchte ich einen PEKiP-Kurs, Nackt-Turnübungen für Babys. Hacke, Spitze, hoch das Bein.
Mittlerweile sind unsere Kinder groß und wählen ihre Hobbys selbst. Die Jungs spielen zweimal pro Woche Fußball, am Wochenende Spiel oder Turnier, zusammen gehen sie auch zum Chor. Unsere Tochter reitet und macht Leichtathletik, außerdem spielt sie Klavier. Das klingt nicht nur viel, das ist auch viel. Aber! Von Sport können sie alle Drei nicht genug bekommen und es macht sie glücklich. Und mich auch. Nur bei der Musik helfen wir ein bisschen nach, weil wir denken, dass es zwar anstrengend ist, Noten zu lernen, aber doch noch viel schöner, später ein paar Töne zu treffen.
Ob all diese Kurse und Hobbys nun Frühförderung genannt werden oder Talentförderung: Ich halte nichts von übertriebenem Ehrgeiz mit Frühchinesisch-Kursen in der Kita. Wohl aber halte ich es für sinnvoll, Kinder auch mal zu fordern. Bei einem Schwimm-Crash-Kurs in den Ferien. Oder einem Kurs am Nachmittag, bei dem sie plötzlich merken, dass sich ihre Anstrengung lohnt. Weil plötzlich ein ganzes Lied aus den Klaviertasten fließt, weil es eine Medaille gibt – oder sich echte Muckis in den Ärmchen bilden.

 

Katharina The Nachtsheim Session - Part One12.2.2014@ Niels Starnick

Die Tochter meiner Freundin ist zehn Jahre alt. Montags geht sie zum Hockey, Dienstags zum Klavier-Unterricht, Mittwochs zum Ballett, Freitag wieder zum Hockey. „Ich hab echt viel zu tun“, sagte sie mal zu mir und mein Mutterherz zog sich zusammen. An vier von fünf Nachmittagen stapft sie also nach sechs Stunden Schule noch zur Nachmittagsförderung. Am Donnerstag, ihrem einzigen freien Nachmittag in der Woche, hat sie oft so viele Hausaufgaben auf, dass sie erst abends damit durch ist. Einfach mal im Zimmer CD hören, mit Freundinnen draußen Fahrrad fahren, sich vielleicht auch mal langweilen  – das kennt sie nicht. Dabei habe ich gerade erst gelesen, wie wichtig Leerlauf für Kinder ist. Wie wichtig es ist, dass sie nicht ständig von außen Reize bekommen. Aber diese Meinung ist ja nicht besonders populär. Kaum ist das Kind sechs Wochen alt, soll man zur Babymassage, weil das die Mutter-Kind-Bindung fördert. Weiter geht’s dann zum Babyschwimmen, um dem Kind die Scheu vor dem Wasser zu nehmen. Bitte PEKiP nicht vergessen, da spüren die Kinder sich durch die Nacktheit toll und machen lauter tolle Erfahrungen. Jaja, das alles hab ich mit meiner Tochter gemacht. Und wage zu behaupten: Die einzige, die davon profitiert hat, war ich. Weil ich andere Mütter kennengelernt habe, die mich vor der Einsamkeit bewahrt haben. Bei meinem Sohn habe ich nichts von all dem mehr gemacht. Und – Achtung, Überraschung – wir haben trotzdem eine enge Bindung, er hat keine Angst vor Wasser und ist vier Monate früher als seine Schwester gelaufen. Jetzt ist meine Tochter viereinhalb und natürlich wird das Thema Hobbys plötzlich interessant. Andere Kinder in ihrem Alter gehen zum Sport und zur musikalischen Früherziehung, andere in Kreativitätswerkstätten oder zum „English singing“. Meine Tochter geht einmal die Woche 45 Minuten zum Kindertanzen. Sie hat Talent, sagt ihre Lehrerin. Wir sollten sie auf eine richtige Ballett-Schule schicken. Mit zwei- oder dreimal die Woche Training. Danke sehr, ohne mich. Ich glaube, dass Kinder heute früh genug in unserer Leistungsgesellschaft bestehen müssen. Ich möchte, dass sie so lange wie möglich so wenig wie möglich terminliche Verpflichtungen haben. Sondern dass sie im Garten spielen können, wenn und wie lange sie wollen. Dass sie in ihrem Zimmer so lange malen können, wie sie wollen, ohne dass wir gleich wieder irgendwo hin müssen. Meine Kinder sind relativ früh in die Kita gekommen und gehen jeden Tag über sechs Stunden dorthin. Den Nachmittag möchte ich ihnen als Ruhephase gönnen. Natürlich kann meine Tochter später auch ihren Hobbys nachgehen. Aber dann werde ich darauf achten, dass es nicht zu viel ist. Und sie garantiert Ruhepoole in ihrem Alltag hat.

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Autor

Katharina und Lisa

Als drittes von fünf Kindern war Katharina immer klar: Sie will selbst auch eine große Familie haben. Mhhhh - doch dann kam zuerst das Studium, eine Ausbildung und schwupps war sie Ende 20, als ihre Tochter geboren wurde. Heute ist sie, Katharina, 33. Im Januar kam Baby Nr. 2 , der Traum von der Großfamilie besteht immer noch. Und weil die ja nicht nur von Luft und Liebe leben kann, arbeite sie als Journalistin mit Themenschwerpunkt... genau: Familie. Lisa ist 32 und beschäftigt sich, seit sie Mutter dreier Kinder ist, natürlich oft und viel mit Familienthemen. Um nicht ihrem gesamten Freundeskreis mit Kinder-Anekdoten zu nerven, schreibt sie in vielen Ecken und Enden des Internets darüber, z.B. bei www.nusenblaten.de oder www.stadtlandmama.de. Mit Kindern, Mann, Großeltern und vielen Tieren lebt sie direkt am Waldrand. Ihre eigene Kindheit verbrachte sie vor allem auf dem Fußballplatz, auf dem ihr Bruder kickte, während sie mit dem Einrad drumherum kurvte... Gemeinsam schreiben Katharina und Lisa unsere Kolumne "Mama-Streit".

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