Sandras Geschichte: Wenn dem Kind die Worte fehlen.

3. Juli 2015

„Ganz normal“ – das sagt sich so einfach. „Mama, kannst du mir helfen?“, „Was ist das?“, „Papa, guck doch mal.“ … tausend kleine Dinge schwirren im Laufe des Tages in Emilies Kopf, die gesagt werden wollen oder eine Erklärung einfordern. Es wird erzählt, gefragt, gesungen und geschimpft. Vier Jahre alt und kein bisschen leise – alles ganz normal. Für uns war es ein anstrengender Weg zur Normalität. Denn die Freude am Erzählen hat auf sich warten lassen. Für eine lange Zeit hat Emilie keine sprachlichen Fortschritte gemacht. Sie ließ uns das ein oder andere Mal darüber verzweifeln, dass es ihr scheinbar genügte auf einzelne Laute zurückzugreifen sowie eine Körpersprache, die sich zwischen uns entwickelt hatte. Kommunizieren ohne zu reden, wie deprimierend.

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„Manche Kinder sprechen eben spät. Stellen sie sich eine Regentonne vor, die sich durch Sprache füllt. Irgendwann läuft die Tonne über, und die Kinder fangen an zu reden. Reden sie mit Emilie und füllen Sie die Tonne“ sagte uns ein Pädaudiologe, der feststellte, dass die verzögerte Sprache nicht am Gehör lag. Also redeten wir mit Emilie. Öfter als wir es ohnehin taten. Bewusster und gezielter. Wir haben unseren Alltag erklärt und ihr erzählt was wir machen. Wir schauten Bücher an und stellten Fragen mit begrenzten Antwortmöglichkeiten. „Gefällt dir der pinke Schmetterling besser oder der lilane?“ Irgendwann war die Antwort kein Fingerzeig mehr sondern „Pink“. Die Regentonne war übergelaufen! Farben, Tiere und Namen waren Emilies erste Lieblingsthemen.

Zur Unterstützung bekommt Emilie Frühförderung. Seitdem haben sich ihre sprachlichen Fähigkeiten enorm verbessert, so dass sie inzwischen auf dem Stand ist, der für eine Vierjährige normal ist. Nun wird von morgens bis abends geschnackt. Und wenn das hundertste Mal „Schnapp, schnapp, schnapp, da kommt ein Hai. Schnapp, schnapp, schnapp, dann ist das gleich vorbei!“ doch irgendwann anstrengend wird, denken wir ein Jahr zurück und freuen uns über unseren „ganz normalen Alltag“.

Die Geschichte unserer Gewinnerin Melanie, in deren Familie fast alle taub sind, könnt Ihr hier lesen.

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Autor

Sandra

Sandra wurde vor 33 Jahren im Harz geboren. Dort lebt sie heute mit ihrem Mann und ihrer Tochter. Sie lieben es gemeinsam querfeldein durch die Wälder zu laufen und die Natur zu entdecken. Wenn das Wetter nicht mitspielen will, bastelt Sandra mit ihrer Tochter Schafe, Blumen oder auch mal ein ganzes Auto. Von Zeit zu Zeit sammelt sich dennoch viel kreative Energie an, die sie dann in Portraitzeichnungen umsetzt. Sie hat eine klare Vorstellung von dem, was sie will und versucht das Beste aus jeder Situation zu machen.

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