Gabrieles Geschichte: Eine Reise mit Hindernissen

17. Juli 2015

Im September 1999 mieteten wir uns eine Ferienwohnung in Frankreich an der Cote d’Azur. Auf der Hinreise wollten wir nicht den großen Umweg über die italienische Riviera machen, sondern beschlossen, gleich auf Landstraßen durch die Seealpen in Richtung Nizza zu fahren. Es wurde Nacht, mein Mann vom Fahren müde und wir tauschten die Plätze. Ich wusste auch ungefähr die Richtung und so fuhr ich Kilometer für Kilometer Serpentinen – ohne das irgendein Hinweisschild nach Nizza kam. Endlich tauchte eins auf: Nice de Cole. Super, dachte ich, nichts wie da lang. Ich fuhr und fuhr, die Berge nahmen kein Ende. Das konnte eigentlich nicht sein, zumal ich irgendwann an einer Stelle vorbeikam, die mir sehr bekannt vorkam, weil ich dort vor vielleicht einer Stunde schon mal war. Ich weckte meinen Mann und gemeinsam versuchten wir uns aus den Bergen wieder herauszufinden.

Irgendwann schafften wir es auch (im Shell-Atlas sind leider diese kleinen Bergdörfer nicht verzeichnet, so dass wir völlig orientierungslos waren). Das Bedenkliche war nur, dass unsere Tankanzeige sich langsam dem roten Bereich näherte. Wir glaubten aber, dass wenigstens in Nizza Tankstellen bei Nacht geöffnet haben würden. Aber weit gefehlt. Da wir auch nicht genau wussten, wie weit es bis zu unserem Quartier war, beschlossen wir, einfach weiterzufahren, bis der Tank wirklich fast leer war, und dann an einer Tankstelle zu übernachten, bis sie morgens um 6.00 Uhr öffnete. Wir fuhren weiter und in Antibes (bekannt durch die Burganlage) war Pumpe. Nun gut, Tankstelle war sofort auffindbar. Wir parkten dort – im Schein der Straßenlampe. Die Kinder (5, 4 Jahre und 10 Monate) schliefen.

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Dann wachte unser Großer auf und wollte gerne auf dem Beifahrersitz weiterschlafen. Ich wollte mir sowieso die Beine vertreten und ließ ihn auf meinen Platz. Um bei der Wärme nicht ganz zu ersticken, ließen wir unsere Fenster alle einen Spalt offen, damit die Luft zirkulieren konnte. Draußen wanderte ich herum, in der Hoffnung, vielleicht noch eine hilfsbereite Person zu finden, die uns einen Kanister Benzin verkaufen könnte, aber das war chancenlos. Ich setzte mich auf die Bordsteinkante – um ja nicht einzuschlafen – einer musste doch auf das Auto aufpassen! Aber wir waren schon fast 24 Stunden auf den Beinen, ich konnte dort nicht sitzenbleiben, sonst wäre ich vor Erschöpfung auf die Straße gekippt. So setzte ich mich auf die Rückbank (unser Großer schlief vorne) und war sofort in einen tiefen Erschöpfungsschlaf gefallen.

Es waren keine 30 Minuten vergangen, da hörte ich auf einmal die Zentralverriegelung knacken. Sofort hellwach sprang ich aus dem Auto – aber die Diebe waren schneller. Sie hatten durch die Öffnung im Beifahrerfenster gegriffen, die Verriegelung entriegelt, meinen Rucksack, der im Fußraum stand, gegriffen und sind zu ihrem Auto gerannt und davongefahren. Ich rannte hinterher – chancenlos. In dem Rucksack befanden sich unsere Pässe, Handwerkerausweis u. a. Ausweise meines Mannes, meine (Optiker)Sonnenbrille, ein fertiggestelltes und ein angefangenes Gobelin-Stickbild, viele Audio-Kassetten (zum Glück nur Kopien, die Originale hatte ich zu Hause gelassen), den Reiseunterlagen, Auslandskrankenversicherungsscheine sowie unsere zwei Fotoapparate (eine Kleinbildkamera, eine APS-Kamera). Erst glaubten wir, dass unsere Geldbörsen mit Geld, Eurokarten usw. auch mit darin waren, aber zum Glück hatte ich diese nach der letzten Rast im Handschuhfach deponiert. Sonst wäre unser gesamtes Bargeld auch noch weggewesen. Da ich doch recht schnell reagierte, kamen sie zum Glück nicht dazu, nach der Videokamera zu greifen, die sich zwischen den beiden Vordersitzen befand.

Mein Mann startete sofort das Auto und fuhr ihnen hinterher. Ich stand  mutterseelenallein in der Nacht auf der Straße. Er kam nicht wieder! Ich lehnte mich an einen Baum und döste vor mich hin – voll in Sorge, was mit meiner Familie geschehen sei, denn keiner tauchte wieder auf. Ich sah sie verletzt im Krankenhaus liegen, dann wieder glaubte ich, man hat vielleicht auf sie geschossen…  – es war albtraummäßig. Zeitweise glaubte ich auch, das sei alles nur ein Traum und ich würde irgendwann aufwachen und alles sei vorbei. Um 6.00 Uhr kam die Dame von der Tankstelle, der versuchte ich begreiflich zu machen, dass ich die Polizei suchte und versuchte ihr den Vorfall mit Händen und Füßen zu schildern. Sie rief dort an, meldete den Zwischenfall und erklärte mir, wie wir dort hinfinden würden (wir haben das nie gefunden).

Plötzlich tauchte mein Mann auf einem Fahrrad auf. War ich erstmal froh, dass ihnen nichts passiert war! Er hatte die Diebe verfolgt und genau in dem Moment, als er sie eingeholt hatte, war der letzte Tropfen Benzin verbraucht. So konnte er nur noch an die Seite rollen und anhalten. Er war nun einige Kilometer entfernt von mir, drei schlafende Kinder im Auto – was tun? Doch da stand ein Wohnmobil am Strand. Er klopfte solange, bis die Bewohner munter wurden und erklärte mit Händen und Füßen was passiert war. Zum Glück hatten sie ein altes klappriges Fahrrad, was der Mann meinem Mann ausborgte. Sie erklärten sich bereit, mal auf unsere Kinder zu schauen, solange mein Mann unterwegs war. Nun mussten wir erstmal einen (sauteuren) 5-Liter-Kanister kaufen, mit Benzin befüllen, dann fuhr mein Mann damit zurück zum Auto, tankte es und kam an die Tankstelle zurückgefahren. Mit vollem Tank nahmen wir das letzte Stück unserer Reise in Angriff. Im Quartier angekommen brauchte ich einige Tage, um mich von diesem Überfall zu erholen. Immer wieder träumte ich, wir würden wieder ausgeraubt oder überfallen.

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Eines Tages fuhren wir wieder an einen wunderschönen Sandstrand. Der Strand war in viele Badebuchten unterteilt – es war immer ein Streifen Sand, der ein Stück ins Meer hineinragte, dann kam wieder Wasser. Zum Meer hin waren große Steinwälle, so dass der Wellengang dort fast abgeschirmt wurde und das Wasser in den Buchten sehr ruhig war. Wir hatte u. a. auch eine Luftmatratze mit. Ein paar französische Kinder fragten uns, ob sie sich diese mal ausborgen dürften und wir gaben sie ihnen. Sie tollten im flachen Wasser damit eine ganze Weile herum. Auf einmal kam ein recht wilder Junge dazu und wir waren nach einigen Minuten des Zusehens entschlossen, dass wir sie auffordern wollten, die Matratze wieder zurückzubringen. In dem Moment ließ der Junge die Matratze los, eine Windböe erfaßte sie und trieb sie in Richtung Meer. Ich versuchte, unter Aufbringung aller Kräfte, hinterherzuschwimmen – die Matratze war schneller. Ich rief meinen Mann, der noch schnell auf dem Sandstreifen in Richtung des Steinwalles rannte und ins Wasser sprang, aber es war so starker Wind, dass es die Matratze regelrecht davonblies. So kehrte er lieber um. Die Kinder waren ohne ein Wort der Entschuldigung ganz schnell verschwunden.

Auf dem Heimweg abends kehrten wir in Garmisch-Partenkirchen in einer Pizzeria ein. Inzwischen war es dunkel geworden. Mein Mann setzte ein Kind ins Auto und schnallte es an. Dabei war ihm seine Brieftasche mit Geldbörse im Weg und er legte sie aufs Autodach unter die Reling. Wir fuhren los, waren bereits ca. 30 min unterwegs auf der Autobahn, da durchfuhr mich ein Schreck: Bernd, deine Brieftasche, hast du die eingepackt?  – Nein! Sofort hielten wir auf dem Seitenstreifen an und sprangen aus dem Auto. Und? Oben, genau an der Stelle, wo mein Mann die Tasche hingelegt hatte, lag sie auch noch!

Gabriele ist die vierte Gewinnerin in unserem Schreibwettbewerb. Die Geschichte von Katharina über das Glück des Alltags mit Kind, könnt Ihr hier lesen.Sandra hat uns von der verzögerten Sprachentwicklung ihrer Tochter berichtet und Melanie über das Leben in einer Familie, in der fast alle Mitglieder taub sind.

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Autor

Gabriele

Gabriele ist in der schönen Oberlausitz zu Hause. Sie ist seit über 22 Jahren verheiratet und hat fünf Kinder zwischen 10 und 21 Jahren. In ihrer Freizeit engagiert sich Melanie ehrenamtlich und hat endlich den Schritt gewagt, sich im Gesangsensemble der Musikschule anzumelden.

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